Eine Kugel kostete 15 Pfennig.
Bei einem Taschengeld von 50 Pfennig pro Woche, blieb Eis meistens ein unerfüllter Traum.
Höchstens ein Wassereis auf dem Schulweg, denn das kostete nur 5 Pfennig.

Manchmal fuhr ich trotzdem mit meinem gelben Roller zum Eiscafé und schaute von gegenüber zu, wie Leute Eis kauften.
Der Eisverkäufer und seine Frau waren fast so alt wie Opa und Oma und kamen aus Italien.
Das war weit weg, weiter als ich denken konnte.
Aber ich wusste, dass Alfa Romeo auch aus Italien kommt.
Bestimmt fuhr der Eisverkäufer auch so einen Alfa Romeo.

Opa hatte gesagt, Italien sei ein Urlaubsland.
Also schaute ich weiter zu, wie sie das Eis verkauften und stellte mir vor, dass Urlaub ein großes Eiscafé sein muss.
Die Zeit verging wie im Flug und jedes Mal war der Weg zurück nach Hause wie eine Fahrt zurück aus dem Urlaub.

Manchmal wenn ich 15 Pfennig hatte, kaufte ich mir natürlich ein Eis.
Aber nicht am Fenster zur Straße, wo der nette Mann verkaufte, sondern ich ging hinein zu seiner Frau.
Eigentlich war es schade, dass sie dort verkaufte.
Der nette Mann machte immer Späße und lachte, die Frau war immer ernst und machte einen strengen Eindruck.
Fast schämte ich mich, dass ich nur eine Kugel kaufen konnte, aber drinnen war es kühl und roch so gut.
Das Eis wurde im Nebenzimmer frisch gemacht, die Waffeln wurden frisch gebacken.
Außerdem dauerte es innen immer länger, so dass ich mir in Ruhe die verschiedenen Eissorten angucken und mich fragen konnte, wie sie wohl schmecken.

Meistens kaufte ich mir Zitrone oder Banane, die schmeckten am besten.
Drinnen gab es kleine runde Tische, an denen Erwachsene saßen und ihr Eis in kleinen silbernen Pokalen serviert bekamen.
Die silbernen Löffel sahen aus wie Plastik-Eislöffel, nur größer.
Wie kleine Schaufeln.

Viel Platz gab es innen nicht, oft standen Leute draußen und warteten auf einen freien Platz.
An den Wänden hingen große Bilder von Italien.
Italien lag am Meer, das wusste jedes Kind, doch ich überlegte, ob man dort wohl auch schwimmen gehen könnte.
Im Rhein konnte man nicht schwimmen, sondern nur im Schwimmbad.

Einmal im Jahr durfte ich mit Tante, die eigentlich Opas Schwester war, ins Schwimmbad gehen.
Da freute ich mich immer drauf, auch wenn ich nicht spielen oder plantschen durfte, sondern immer nur auf Tante warten musste.
Im Schwimmbad gab es Pommes Frites, die so wunderbar rochen.
Probieren durfte ich Pommes Frites trotzdem nie, nicht dort und auch nicht woanders.
Zu Hause gab es immer nur Brot zu essen. Oder Kartoffeln.
Bei Opa und Oma gab es wenigstens Brötchen anstelle von Brot, und an Omas Geburtstag gab es frisch gebackene Kuchen.

Manchmal wenn es etwas Besonderes gab, gab es mittags zu Hause Nudeln.
Da konnte ich mich richtig satt essen.
Am liebsten aß ich Sputnik-Nudeln mit Zucker oder Ketchup.
Hin und wieder machte Tante Milchsuppe oder Grießsuppe mit Sauerkirschen, und wenn ich Glück hatte, durfte ich probieren.
Das war zwar nicht wie Pommes Frites oder Nudeln, aber schmeckte trotzdem wunderbar.

Eines Sonntags durfte ich mit Opa und Oma ins Eiscafé gehen.
Ganz stolz schaute ich die Eisverkäuferin an, als wir uns an einen der kleinen runden Tische setzten.
Ich bekam einen Eisbecher mit drei Kugeln und Sahne und fühlte mich wie ein König.
So leckere Sahne hatte ich noch nie gegessen.

Als ich mit dem silbernen Eislöffel ein wenig Eis von der Seite nahm, stellte ich fest,
dass die Sahne an dem Eis festgefroren war und eine kleine harte weiße Schicht bildete.
Ich probierte ein Stück davon, das so gut schmeckte, dass mir ein wohliger kühler Schauer den Rücken hinunter lief.
Also zerdrückte ich die Eiskugeln und verteilte die restliche Sahne darauf.
Als Kind wollte ich immer Baggerführer werden, mit Planierarbeiten jeglicher Art hatte ich Erfahrung.
Auch wenn die Sahne nicht mehr richtig frieren wollte, war ich glücklich.

Ich hatte drinnen sitzen und Eis essen dürfen, ich war endlich kein Kind mehr, mit dem niemand etwas anfangen konnte.
Vielleicht durfte ich nun jeden Sonntag mit Opa und Oma spazieren gehen,
und auf dem Hin- und Rückweg mussten wir dann ja an dem Eiscafé vorbeigehen.

Als ich bei meinen Eltern abgegeben wurde, sagte Oma:
"Das Kind hat im Eis gematscht."

Mir schossen die Tränen in die Augen und ich trat mit voller Wucht auf meinen roten Plastik Alfa Romeo,
denn ich wusste, dass der Urlaub damit vorbei war.